Anfang des Jahres 2015 feierte die Frauenklinik des Evangelischen Amalie Sieveking-Krankenhauses ihr 20-jähriges Bestehen als „Babyfreundliches Krankenhaus“. Das Amalie war damals das erste Krankenhaus in Deutschland, welches dieses inzwischen hoch begehrte Zertifikat erhalten hat. Dr. Lütje weiter:
"In den 70er-Jahren glaubte man wirklich, Muttermilch künstlich ersetzen zu können und dem Stillen wurde der Kampf angesagt. Aggressive Werbestrategien der Babynahrungsindustrie verursachten nachweislich gerade in sog. Entwicklungsländern eine tödliche Ernährungskatastrophe. Die WHO wurde initiativ und definierte Kriterien der Stillfreundlichkeit. Diese Initiative wurde in Deutschland aufgegriffen und es gründete sich die Initiative der „Babyfreundlichen Krankenhäuser“. Dabei ging es letztlich nicht nur darum Stillfreundlichkeit wieder zu entwickeln und zu fördern, sondern Babyfreundlichkeit zu definieren als ein Konzept, welches insbesondere die Eltern-Kind-Bindung von Anfang an unterstützt. Hierfür gibt es relativ strenge Ein- und Ausschlusskriterien, so dass die im Dreijahres-Turnus erfolgende Re-Zertifizierung der Babyfreundlichen Krankenhäuser relativ aufwändig ist. Ein positiver Aspekt dieser Initiative ist, dass das Stillen in umfassender Weise beforscht wurde. Eigentlich möchte man meinen, dass ein für den gesunden Menschenverstand unumstritten wichtiger und gesunder Vorgang nicht beforscht werden muss. Weit gefehlt! Erst über zum Teil sensationelle Forschungs- und Wissenschaftsergebnisse gelang es, dem Stillen weltweit wieder den Stellenwert zu geben, der ihm gebührt – nämlich eine ganz wichtige Grundlage für physisches und psychisches Wohlergehen zu sein:
Stillen ist die inzwischen erwiesen beste gesundheitliche Präventionsmaßnahme.
Gestillte Kinder sind resilienter und intelligenter, sie entwickeln weniger Bindungsstörungen als Hauptfaktor für psychische Erkrankungen im Leben und nicht zuletzt besteht mit der Übertragung von mütterlichen Stammzellen beim Stillen ein lebenslanger Zellschutz, der vor allen möglichen Erkrankungen insbesondere Krebs schützt. Babyfreundlich suggeriert andererseits, dass es vielleicht auch babyunfreundliche Krankenhäuser gibt. Davon ist quasi nicht auszugehen, weil sich wahrscheinlich alle Geburtskliniken um Babyfreundlichkeit bemühen, erwiesenermaßen sind aber Still- und Bonding-Raten in babyfreundlichen Krankenhäusern deutlich höher. Vor diesem Hintergrund erscheint mir eine entsprechende Differenzierung erlaubt. Babyfreundlichkeit muss aber auch noch andere Effekte berücksichtigen. Ein Baby ist ja kein isoliertes Sozialwesen, sondern in ein großes familiäres Netzwerk eingebunden. Zu diesem gehören neben der Mutter auch der Vater und der Rest der Familie.
Babyfreundlichkeit beinhaltet demnach natürlich auch Frauen-, Familien- und schlussendlich Männerfreundlichkeit. Entsprechend profitieren Babys auch von einer psychosomatisch orientierten Geburtshilfe, welche nicht nur physische, sondern auch psychische Belange selbstredend mit berücksichtigt. Sie profitieren von guter Vor- und Nachbereitung der Geburt, von einer Prüfung des richtigen Geburtsmodus und von einer gezielten Vorbereitung ihrer Väter als gute Begleiter einer bevorzugt natürlichen Geburt. Familienfreundlichkeit bedeutet die Unterbringung in Familienzimmern, die intensive Begleitung während des kurzstationären Aufenthalts und danach insbesondere durch Hebammen und die Möglichkeit der Nachbesprechung der Geburt am Ort des Geschehens. Es ist also neben den genannten Kriterien die psychosomatische Grundhaltung, die sich als Hauptwirkfaktor der „Babyfreundlichkeit“ erweist. Am Rande beinhaltet dieses Konzept auch die Begleitung bei Krisen aller Art. Hier haben sich die „frühen Hilfen“ mit Einbindung des „Cyou“-Projektes in Hamburg als extrem hilfreich erwiesen. Neben sozialen Belastungen muss dabei das Augenmerk auch zunehmend auf schwerwiegende psychische Belastungen rund um die Geburt gerichtet werden. Hier planen wir am Standort Volksdorf den Aufbau eines entsprechenden Zentrums, um die Babyfreundlichkeit auch unter schwierigen familiären Rahmenbedingungen zu gewährleisten."